Leseproben /
Reading Samples

Hier sind zwei von zahlreichen Gedichten, die ich über die Jahre geschrieben habe.

Das Blut der Zeit

Die Jahre wie Schatten
mit Armen aus Stahl,
die liebkosend den Nacken
umfassen. Ein Pfahl
aus Eiche ins Herz
der Zeit mit strah-
lendem Lächeln befreit.

Der Schmerz der Erlösung,
die Endzeit; danach
nur das Schweigen der Jahre
mit Schatten aus Stahl,
die verloren das Leben
betrachten und warten
auf Frieden danach.

(Würzburg, 1996)

Elbtraum

Am Tag, als die Elbe
Dresden unter sich begrub
und in ein tosendes Meer verwandelte,
da saßen wir auf unserer Insel in den Wolken
und lachten vor Glück.

Treibgut spießte Häuser auf,
Brücken versanken,
Sirenen zerrissen die Mitte der Nacht.

Am Tag, als ein Prager Elefant
in den Fluten der Moldau dreckig verreckte,
liebten wir uns in Stellungen
zu vertrackt für die Kamasutra.

(Dresden, 2002)

Mitunter schreibe ich auch Gedichte auf Englisch, manchmal auch mit (beabsichtigtem) deutschen Einfluss.

Fairy Love

A love as intense
As in books of romance
A well-fitting shoe
A dream come true

But on top a small dose
From the realist's hose
A sigh of grief
A smile of mischief

Together a blend
Boding bliss without end
And a quarrel or two
Won't blemish the shoe
Of this fairy love

(Thessaloniki, Feb. 2005)

In Return

here a line is dripping
until it is dropped
should you find this gripping
(as surely might be hoped)
just let a few words slip in

oh no, this started fine,
but now I lost my rhyme
forgive the non-so-native speaker
who in outright eager-
ness tried his hand in vain
alas, he dropped his line...

(Toronto, Sept. 2011)

Diese kurze Erzählung stammt aus dem Band Der unsichtbare Schnurrbart,, in dem ich in Form von Autofiktionen meiner Herkunft nachspüre. (Autofiktionen entstehen aus dem Spiel mit Masken: Man verbirgt sich, erfindet Umrisse, täuscht Nähe vor und entwirft ein anderes Selbst – ein Bild, das zugleich enthüllt und sich entzieht.)

Meral mein

Meral ist ein Mädchen. Meral ist eine Frau. Meral ist so vieles, das ich nicht begreife. Warum schien Meral mir so unnahbar, so fern? Meral trägt einen Namen, der mich betörte, der mich heute noch an bunte Perlenketten erinnert und leuchtend rot lackierte Zehennägel. Sandalenmädchen nannten wir sie, fasziniert. Zigeunerin schimpfte sie mein Vater. Das war Jahre bevor sie verschwand. Jetzt ist Meral eine Sandalenfrau, keinen Zweifel, irgendwo. Ich hörte, sie habe studiert. Ich hörte, sie habe geheiratet. (Meral verheiratet?) Ich höre so vieles, das ich nicht verstehe. Wie alt ist Meral jetzt? Meine Mutter mochte sie. Ich war verrückt nach ihr. Keiner wusste das, nicht einmal ich.

Einmal küsste ich Meral. Ich hatte Mut gesammelt, er pumpte dumpf in meinen Adern. Es war der kürzeste und der längste Kuss, der schmerzhafteste. Sie war sechzehn. Ich fühlte nichts, meine Lippen waren Steine. Verletzte ich sie? Meral war nicht überrascht. Die Schule war aus. Jeder im Dorf wusste davon. Die Vögel pfiffen es. Ihr Vater schlug sie, doch das erfuhr ich erst Jahre später. Meral hatte niemals Tränen in den Augen. Sie liebte ihren Vater. Die letzten Tage verschwimmen wie im Traum. Als meine Augen wieder sahen, war sie fort. Habe ich sie vertrieben?

Merals Vater arbeitete in der Fabrik. Das brachte ihn her. Meral war damals ein Stern in den Röcken ihrer Mutter. Winde blasen über die Steppe, sagte sie. Ich verstand sie nicht. Ich war acht, sie sechs. Sie malte die schönsten Bilder. Es gab einen kleinen Spielplatz, mitten im Dorf. Einmal vergruben sie ihre Sandalen im Sand. Meral lief barfuss heim. Mutter, sagte ich an diesem Abend, warum fahren wir nicht im Sommer in die Türkei? Gibt genug Türken hier, sagte Vater. Merals Vater kam spät von der Arbeit. Ich fand ihre Sandalen und hängte sie an ihre Tür.

Ich küsste Meral. Einmal nur. Und dann viele Jahre lang in meinem Traum. Doch nie gelang es mir, sie zum Weinen zu bringen. Meral sah mich an. Sie sah meine Mutter an. Ich werde dich heiraten, sagte ich. Ich bitte deinen Vater. Jedem im Dorf sage ich es. Sie war vierzehn, die Zigeunerin. Ich liebte sie so. Und wusste es nicht. Heute weiß ich. Ich blickte meine Mutter an, doch die schüttelte den Kopf. Aber ich habe sie doch gefunden, nur gefunden, rief ich. Komm mit, ich zeige dir wo. Sie hatte keinen Bruder.

Nachdem sie gegangen war, sprach niemand mehr von ihr. Auch ich nicht. Doch ihre Bilder hob ich auf. Sie sei in die Heimat zurückgekehrt, hieß es. Sie habe versucht, sich das Leben zu nehmen, hieß es. Man hört so vieles. Einmal begegnete ich zufällig ihrem Vater. Ein stummer Mann. Er spuckte vor mir auf den Boden. Ich sah ihn nicht an.

(Thessaloniki, 2005)

Mein umfangreichstes Projekt ist eine Reihe von Fantasy-Romanen, deren ersten Band ich im Juni 2025 nach Jahren intensiver Arbeit vollendet habe. Der Titel: Der Abgrund der Fantasie. Er erzählt vom ersten Sphärengang meines Protagonisten Ruven, der in einem abgelegenen Dorf aufwächst, ohne zu ahnen, dass in seinem Blut das Erbe der Mantras ruht: jener mythischen Wesen, die einst die Welt der Materie erschufen. Hier zwei kurze Auszüge: Der Beginn von Kapitel 1 eröffnet einen ersten Blick auf die Welt, in der sich das Geschehen entfaltet. Und am Ende von Kapitel 29 schließlich überschreitet Ruven nach zahllosen Prüfungen die Schwelle zur Initiationsraum.

Kapitel 1: Falkenflug

Wie ein Geschoss jagte der Falke aus der Kumuluswolke. Seine Flügel glänzten feucht, und winzige Wassertropfen sprühten ihm aus dem Gefieder. Sie hinterließen in der Luft einen schimmernden Strahl, eine Himmelsspur, die bereits einen Wimpernschlag später wieder verging. Die sengende Nachmittagssonne ließ die Ränder der Wolken schmelzen und brachte die Luft zum Flimmern. Plötzlich zog der mächtige Raubvogel die Schwingen eng an den Körper und stürzte mit atemberaubender Geschwindigkeit der Erde entgegen. Erst im letzten Moment spreizte er die Flügel, bremste seinen Fall knapp über den Baumwipfeln und zwang sich in einer steilen Kurve zurück in die Horizontale. Mit unvermindertem Tempo jagte er davon, dem fernen Gebirge entgegen, während er allmählich wieder an Höhe gewann.

Wald, soweit das Auge reichte, im Wind wehende Wipfel, ein majestätisches Meer aus tanzenden Baumkronen, durchfurcht von Myriaden sich windender Wasserläufe und verschlungener Seen. Doch längst waren die Tage vergangen, als die Welt noch ungestört unter dem zeitlosen Grün dahinschlummerte, bevor der Mensch begonnen hatte, die geheimnisvolle Symmetrie der Natur zu bändigen und in Formen zu pressen, bevor er sich mit eiserner Hand die Welt untertan machte.

Hier, im Herzen des unwegsamen Welslandes, lagen Wald und Steppe noch halbwegs unberührt. Nördlich des Grauen Gebirges aber hatte der Mensch dem Land längst seinen Stempel aufgedrückt. Wo einst Naturkräfte gewaltet, wo sich Sümpfe und endlose Wälder ausgebreitet hatten, waren nach und nach Lichtungen, Siedlungen und Felder entstanden. Flüsse hatte man aus ihren natürlichen Betten verdrängt, umgeleitet oder in den Untergrund gezwungen. Straßen und Bahnlinien wanden sich wie bleierne Schlangen durch die Landschaft und teilten die Natur in unwirtliche Brachflächen. Fabriken sprossen aus dem Boden und spien durch flammende Schlote ihren Feueratem ins Firmament.

Allein das Gebirge war von dieser Entwicklung verschont geblieben. Zerklüftet und unwegsam wie eh und je erhob es sich, unbezwungen und makellos in seiner archaischen Ursprünglichkeit. Jedes Mal, wenn der Falke es überflog, erklangen in seinem Innersten die Stimmen der Vergangenheit, und sein Geist war, solange jener Augenblick währte, wieder jung und unbeschwert. Es war, als sende der Fels Strahlen aus, die die Partikel der Luft umschmeichelten, besänftigten und selbst die Schwerkraft bedeutungslos werden ließen. Widerstandslos glitt der Falke durch die Windstille, hinweg über die schroffe Steinlandschaft mit ihren Kratern und Klippen, und ließ flüchtig den Blick auf markante Felsformationen ruhen, die tief unten aus der Nebeldecke ragten: Der Ewige Schleier, jenes mythische Gewebe, das seit Urzeiten diese letzte unberührte Sphärenlandschaft des Westlandes vor allzu neugierigen Augen verbarg.

Kapitel 28: Der Herzbaum

Ruven begann zu rennen. Schon wurde es lichter um ihn. Ein rötlicher Schimmer lag in der Luft, und es roch metallen. War er am Spiegelsee? Doch das Gewässer, das sich vor ihm auftat, war kreisrund. Der Schimmer kam nicht vom Himmel, sondern von zahllosen Fackeln, die rings um das Ufer steckten. Eine betäubende Stille hing über dem Kitar-See. Das Dröhnen vibrierte noch in der Tiefe seines Körpers, doch seine Ohren hörten es nicht mehr. Im Wasser spiegelte sich gleißend der Himmel. Geblendet schloss er die Augen, doch die Helle nahm zu, wuchs an zu einer gewaltigen Lichtsäule, die an beiden Enden zerfaserte.

Ba nurm ve ach ve ak murir an, echote es. 

Blinzelnd erkannte Ruven, dass das Licht einen riesigen Stamm formte, der in den See hinein- und zugleich aus ihm herauswuchs. Doch er konnte nicht sagen, wo Wurzeln endeten und Äste begannen, nicht einmal, wo der Baum aufhörte und seine Spiegelung begann. Oder war alles nur Abbild? Und überhaupt: Wo befand er sich eigentlich? Noch diesseits des Stroms? Oder schon wieder jenseits davon?

Ruven zwang sich zur Ruhe. All das spielte jetzt keine Rolle. Er durfte sich nicht ablenken lassen. 

Er schloss die Augen, verdrängte das Flimmern, das Kreisen, die Zweifel, und konzentrierte sich ganz auf die Lichtsäule. Sogleich erfasste ihn ein überwältigendes Fluten. Doch er spürte auch eine feine Dissonanz. Es war, als lägen zwei Bilder übereinander. Als formte das Licht nicht einen Stamm, sondern zwei. Sie waren räumlich und zeitlich getrennt, und doch eins. Denn unter der Erde flochten sich Ad’Bars Wurzeln zu einem unsichtbaren Netz, während Ok’Bars Wurzeln über der Erde als Wald hervorsprangen. Und so formten sie, obwohl sie einander nie berührten, über Raum und Zeit hinweg einen riesigen Doppelbaum. In dessen Widerschein glaubte Ruven sogar, schemenhaft die beiden Vorväter aller Bäume aufstrahlen zu sehen: Adaï’Bar und Okan’Bar, die einst zusammen die Doppelhelix der Sphärenspirale bildeten, bevor diese aufbrach und die Welt der Materie gebar. 

„Die mächtigen Pole des Seins!“, murmelte er. Waren dies die Grenzen, denen er entwachsen musste?

Während das Licht weiterflutete, spürte Ruven plötzlich, wie sein Würfel in der Tasche zu reagieren begann. Aufgeregt zog er ihn hervor, nahm ihn in beide Hände und ging auf die Lichtsäule zu. Mit jedem Schritt wurde der Würfel heller und wuchs an. Schon hatte er die Größe eines Fußballs erreicht, bald konnte Ruven ihn kaum noch mit den Armen umfassen. Federleicht schwebte er vor seiner Brust, bis sie beide unmittelbar vor der Lichtsäule standen.

Ein Brausen hob an. Ein Knistern vibrierte durch die Luft, flirrend wie geladene Funken. Ruven spürte, was zu tun war. Sanft stieß er den Herzholzwürfel an. Das Licht nahm ihn auf. Seine Kanten zerflossen, und der Würfel dehnte sich weiter, füllte die Lichtsäule und verschmolz mit ihr. Ein Flackern. Ein Aufglühen. Dann plötzlich Stille.

Das Licht war erloschen.

Ruven blinzelte, schwankte leicht. Der Boden bebte schwach unter seinen Füßen. Wo eben noch der See gelegen hatte, gähnte nun ein riesiges Loch, umrandet von holzigen Fasern, spiralförmig eingerollt wie die Maserung eines Stamms. 

Atemlos trat er an den Rand. Tief unter ihm wanden sich gewaltige Spalten spiralförmig die Wände entlang, hinab in eine bodenlose Tiefe. Alles schimmerte. Rauschte. Pulsierte. Und er hörte eine Stimme raunen: 

Begreifst du nun die Kraft des Herzholzes?

Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Ein Jubelschrei lag ihm auf der Zunge, doch er bändigte ihn. Dies war der Weg. Dies war der Anfang. Ohne zu zögern, setzte er zum Abstieg an.

Here is the first scene of a play I wrote to mark the 150th anniversary of the Department of German at the University of Toronto. We staged it on March 29, 2016. From the program: “[The play] takes you right back to the beginning. No, not to the beginning of time, but to the beginning of the German Department, i.e. not long after the beginning of time and a whole year before Canada was founded. Imagine a clearing in the middle of a mighty forest, listen to the sounds of falling trees and the cries of agitated squirrels. This is how our story starts. But how, you might ask, do we get from here to Goethe & Kafka? Well, you’ll soon find out…” And here is a short video excerpt from the performance.

Deutsch vom Fass
An Educational Journey in Nine Scenes

Scene 1: The Mission

Dark stage. Forest sounds. Chopping of trees. Light: Stage is empty. After a while: Rolling sounds, slowly getting louder. Barker enters from right, laboriously rolling keg. He places it centre stage, leans on it and catches breath. Farley enters from left, stops and stares at keg. Both are very Canadian-looking, wearing lumberjack jackets etc.

Farley: “Barker! What in God’s name…?”

Barker: “Found it on yonder field. Darn heavy, let me tell you.”

Farley: “Why didn’t you just leave it there, eh?”

Barker: “Dunno. It spoke to me, I guess.”

Farley: “It… what? What are you gonna do with it?”

Barker shrugs. They examine the keg, find a label: “German beer.”

Farley: “German beer! Go figure!”

Barker (enthusiastically): “Best beer in the world. Or so they say. Goes way back…”

Farley: “Well?”

Barker nods. Both pull flasks out of jackets and drink. The quality of the beer is outstanding.

Barker: “And? What do you think, Farley? Eh?”

Farley: “I’m more of a wine person. (drinks) But not bad, as beer goes. (drinks more) Mhh. On yonder field, you say?”

Barker nods; Farley shakes head in disbelief.

Farley: “Hmm, I wonder…”

Voice from Keg (distinct German accent): “You wonder what?”

Farley (jumps): “What the…?!”

Barker: “It speaks. I told you so!”

Farley is totally dumbfounded. Walks around the keg.

Farley: “This must be some trick.”

Voice (clears throat; mysteriously): “If you build it, they will come…”

Barker: “What?”

Voice: “If you build it, they will come…”

Farley: “Build what? Who will come?”

Voice (abruptly): “This is the spot!”

Farley: “What spot?”

Voice: “The very spot!”

Barker (insistently): “What spot?!”

Voice: “Here you will erect a cathedral of learning, a sublime hall of education, an Asgard of Bildung, in short: a German department.”

Moment of silence. Then in fast succession:

Farley: “A what?”

Barker: “When?”

Voice: “Now!”

Farley: “Oh come on! Here in the wilderness?”

Barker: “A German department? But Canada hasn’t even been founded yet.”

Voice: “But it will be soon. (Pause) Around your German department.”

Barker & Farley exchange confused looks.

Voice: “At this exact spot. And I will serve as the cornerstone.” [echoing]

Farley (unconvinced): “I don’t know. Who are you anyway?”

Voice: “I am who I am! Begin your labour – and in due course, a mighty tower will arise on the distant shores of the mighty lake to sing the praises of your efforts…”

Barker seems somewhat excited, but Farley is incredulous. Takes Barker aside.

Farley: “What do you make of this, Barker?”

Barker: “I found it on yonder field!”

Farley: “Yes, so you said. But a German department here, in the middle of this bloody forest?”

Barker: “It spoke to me!”

Farley (exasperated): “Yes, and to me, but…”

Voice (booming): “Clear this place! Cut the trees! Shoot the birds, but spare the squirrels!”

Barker & Farley exchange looks again. Barker pulls up sleeves, nodding. Farley frowns.

Voice: “Drink freely and deeply!”

Farley sighs. They drink. With the beer, all scepticism dissipates.

Farley: “A German department – of course! It all makes perfect sense!”

Barker: “Precisely! That’s what has been missing all along! That will change everything!”

They set to work. To the sounds of saws, chopping wood, falling trees and dying birds, Barker & Farley laboriously move the keg into the correct position. Fade-out.